hier ein Artikel aus dem Spiegel, die Formatierung sieht wohl übel aus aber fürs Wo - ende evtl lesenswert
etwas werde ich neu formatieren, der Rest: scollen…
PS: ein Hoch auf OCR, nun sieht es nicht perfekt aber besser aus…
Sie haben sich bei der Arbeit kennengelernt, in der Kartoffelfabrik in Mivtahim, funf oder sechs Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Boonthom Phankhong, 45 Jahre alt, und Natthawaree Yo Mulkan, 35, die wie viele Menschen in Thailand nur beirn Vornarnen genannt werden wollen, waren Gastarbeiter in Israel. Vor ihrer Ankunft wussten sie wenig über das Land, auger dass es dort auf den Feldern genauso heiL sein würde wie zu Hause in Südostasien.
Boonthorn sagt, er habe Yo beirn Abpacken der Ernte zugesehen und sich gleich verliebt. Yo sagt, seit dern Tag vor vier Jahren, an dern sie zusammengekommen sind, hätten sie alles gerneinsarn gernacht. Arbeiten, Essen, Radfahren, sie seien Unzertrennlich gewesen bis zum frühen Morgen des 7. Oktober, dern Tag, an dern Harnas-Terroristen und weitere Extremisten zu ihrer Farm kamen und das Paar auseinanderrissen.
Yo sagt: >>Es war morgens, vielleicht sechs Uhr. Wir lagen noch irn Bett. Da kamen die Manner. Wir versuchten, in den Bunker zu flüchten. Doch sie haben uns rnitgenornrnen.<<
Yo und Boonthorn sind 2 von 32 thailändischen Staatsburgern, die vor zwei Monaten in den Gazastreifen verschleppt worden waren, als Terroristen in Israel einfielen, etwa 1200 Menschen ermordeten und mehr als 200 als Geisein entführten. 23 Thailänder sind inzwischen frei. Sie waren unter den Ersten, die Ende November nach 49 Tagen aus der Geiseihaft freikamen. Am 30. November landeten sie am Bangkoker Flughafen. Anders als die israelischen Geisein, denen das Militär verboten hat, Details über ihre Entfuhrung preiszugeben, können die Thailänder freier erzählen, was sie in den Tunnein von Gaza erlebt haben. Noch immer sind dort mehr als 100 Menschen gefangen.
Im Dorf Kok Samran in der Region Isaan, irn Nordosten Thailands, sitzt Yo vor dem Haus ihrer Mutter, ihr
Freund Boonthom daneben, er halt ihre Hand. Am Vormittag hat das Dorf ein Fest für die Rückkehrer veranstaltet, die Gemeinde stellte PavilIons in den Vorgarten der Familie, Lokalpolitiker waren da, ein buddhistischer Zerernonienmeister, urn die guten Geister zu beschwören, zurück in die Körper von Yo und Thom zu kehren und die Schrecken von Gaza aus ihren Köpfen zu vertreiben.
Aus dem Isaan brechen traditionell viele Frauen und Manner Richtung Israel auf, urn als Vertragsarbeiter auf den Feldern zu helfen. Das Geld, das sie verdienen, schicken sie ihren Familien. 30 .000 Thais arbeiteten dort bis zum Ausbruch des Kriegs.
Yo und Boonthom verdienten in der israelischen Fabrik, für die sie Kartoffein ernteten und auslieferten, jeweils gut 1000 Euro im Monat, weit mehr als auf den Ackern zu Hause. Yo sagt, sie rnochte die Arbeit.
Wenn Yo an die Geiseihaft denkt, dann schweigt sie lange, ehe sie sagt: >>Die Angst ist immer noch in mir. Der Schrnerz ist noch da. Ich möchte ihn nicht berühren.<< Sie halt dabei eine Hand über ihr Herz, als würde sie es vor der Erinnerung beschützen wollen. Dann redet sie.
Als am 7. Oktober die Sonne aufgeht, werden Yo und Boonthorn von Männern, die sie nicht genauer beschreiben wollen, auf dem Weg in den Bunker gefangen genommen und in ein Fahrzeug gezwungen. Niemand spricht während der Fahrt mit ihnen. Es sitzen weitere Menschen im Auto, alle schweigen angstvoll, so erzählen sie es. Irgendwann - Boonthom glaubt, auf der anderen Seite der Grenze in Gaza - wechseln sie die Autos, Manner kommen in das eine, Frauen in das andere.
Yo weiL nicht, wo ihr Freund ist, ob er noch lebt. Den Ort, an den sie gebracht wird, bezeichnet sie als >>Tunnel<<. >>Ich konnte wenig sehen, da war wenig Licht<<, sagt sie. Sie ist zusammen mit fünf Geiseln aus Israel. Frauen, wie sie sagt, die aus dem Kibbuz Nir Os irn Süden Israels starnmen. Yo verliert das Zeitgefühl. >>Wenn man die Zeit nicht kennt, dauert das Warten noch länger.<<
Auch Wichian Temthong, 37, wird früh morgens etwas weiter nördlich im Kibbuz Kfar Asa von Sirenenalarm geweckt. Erst kurz zuvor ist er zurn Avocadopflücken und Gurkenanbau aus Thailand dort angekommen. Kollegen nehmen thn, den Neuling, mit in den Betonklotz inmitten des Kibbuz: den Bunker. Sie sagen ihm: Mach dir keine Sorgen. Sie wissen nicht, dass Kämpfer der Hamas und des Islarnischen Dschihad bereits in den Kibbuz eingedrungen sind, urn Menschen zu töten. Wichian und die anderen Thais wähnen sich schIieLlich auger Gefahr, kehren zurUck auf ein Zimmer.
Wichian berichtet davon, wenige Tage nach seiner Rückkehr vor seinem Haus, das kaum grofer ist als eine Garage. Für den Putz hat das Geld nicht mehr gereicht, statt Glasfenstern müssen hölzerne Fensterläden Hitze und Monsunregen abhalten. Er spricht schnell, macht kaum Pausen. >>Die Manner mit den Waffen stürmten ins Zimmer<<, sagt Wichian. Sie hätten Granaten, Messer und Pistolen dabeigehabt, jung ausgesehen, entschlossen. Manche batten ibr Gesicht unter Schals versteckt, einer sei mit nackter Brust in den Raum gekommen. Sie seien vollgepumpt mit Adrenalin gewesen und hätten Spas daran gehabt, den Arbeitern wehzutun, das war sein Emdruck. >>Ich dachte, ich sterbe.<<
Die Manner fesseln die thailändischen Arbeiter mit Kabein, die sie aus den Wänden schneiden, treten sie wie Tiere. So erinnert sich Wichian. Er wird von semen Kollegen getrennt und allein im Pyjama über die Grenze in den Gazastreifen getrieben. Viel spater erfährt er aus den Nachrichten: Alle anderen Thais aus der Gruppe sind heute tot.
Wichian beschreibt, wie er durch einen engen Schacht viele Meter in die Tiefe gebracht wird. Dort, in einem Tunnel, ausgekleidet rnit Beton, in dern die Luft feucht ist und Wasser von der Decke tropft, in dern er schlecht atrnen kann, verbringt er den GroLteil seiner Gefangenschaft. Zusammen mit drei weiteren Männern, einer davon, sagt er, aus Israel. Won drau1en hörte ich die Raketen. Ich hatte Angst, dass der Tunnel einstUrzt.
Die Manner können sich untereinander kaum verstandigen. Wichian zieht sich in seine Gedankenwelt zurück, rneditiert. Manchmal, wenn es ihm nicht gut geht, reibt ihm eine der anderen Geiseln den Rücken. Der junge Mann, sagt Wichian, befinde sich noch irnrner in Gefangenschaft.
Weil Wichian nicht duschen kann, juckt seine Kopfhaut irgendwann so sehr, dass er sich blutig kratzt. Seine schmutzige Unterhose zieht er lieber aus. Weil es nachts kalt ist, geben die Aufpasser ibm lange Hosen. Er schläft auf einer Decke auf dern Boden, die Matratzen sind den Aufpassern vorbehalten. Essen gibt es einmal taglich. Brot und Bohnen oder Thunfisch aus Dosen. Je rnehr Zeit vergeht, erinnert sich Wichian, desto sparlicher wird die Mahlzeit.
Manche Aufpasser, sagt Wichian, schieben ihm Essensreste zu oder spielen mit ihm Karten. Einrnal kornrnt einer der Terroristen mit einern Kabel in ihr Versteck und nirnrnt zwei Mitgeiseln mit. Wenig spater hört er Schreie, die beiden kehren mit Striemen an den Unterarnen zurück. Wichian befürchtet, er sei der Nächste, doch er wird verschont.
Im Raum nebenan lebt der >>Boss<<, so nennt Wichian den parfümierten Mann im Hemd, der ein Festnetztelefon und eine Klirnaanlage besitzt und dern die Aufpasser mit Respekt begegnen. Manchrnal kann Wichian einen Blick auf semen Fernseher erhaschen, der meist Raketeneinschlage und Karnpfe zeigt.
Das Liebespaar Yo und Boonthom hat sich darauf geeinigt, sich so wenig wie moglich über seine Zeit als Geiseln auszutauschen. Yo erzählt, im Tunnel hätten sich immer diesel-ben fünf Aufpasser urn sie gekürnrnert. >>Die Manner haben uns respektvoll behandelt, die israelischen Frauen genauso wie mich. Sie haben uns nie berührt, und wenn doch, dann nie Haut auf Haut. Es war immer ein Stuck Stoff zwischen unseren Körpern und den Händen der Männer.<<
Einmal, als sie Schmerzen hat, gibt man ihr eine Schmerztablette. >>Wir haben uns mit ein paar Brocken Hebräisch unterhalten und mit Händen und FüLen.<< Spater, irn israelischen Krankenhaus, wird man feststellen, dass Yo ein Fünftel ihres Gewichts verloren hat, sie wiegt bei der Freilassung 35 Kilograrnrn.
Boonthom wird in keinen Tunnel, sondern in einen Raum ohne Möbel gebracht, erinnert er sich, gemeinsam mit sieben weiteren Thais. Es gibt Fenster, aber er darf nicht rausschauen. Auf die Frage, ob ibm Gewalt angetan wurde, will er nicht antworten. Er will auch den Raum und das Haus, in dem er sich befand, nicht weiter beschreiben. Er fürchtet, die verbliebenen Geiseln zu gefahrden. >>Wenn wir auf die Toilette mussten, begleitete uns einer der Manner. Niemand von uns Geiseln fragte etwas, wir batten grofe Angst. Wenn überhaupt, haben wir geflustert.<<
Anders als die Familien der meisten west-lichen Geisein, die von thren Regierungen informiert wurden, erfuhren viele Familien in Thailand zunachst auf Social Media davon, dass ibre Verwandten frei sind, Fotos kursierten etwa auf TikTok. Auch zur Anzahl der thailandischen Geiseln gab es wochenlang widerspruchliche Angaben. Manche der freigelassenen Thailänder waren den Behörden bis dahin gar nicht als entführt bekannt gewesen.
Go home Thailand<<, babe einer seiner Aufpasser eines Tages plötzlich gerufen, sagt Wichian. So beginnt die Freilassung. Im Krankenhaus, in das man ihn und andere Geiseln bringt, besucht thn die thailandische Botschafterin im Anzug, er bekommt einen person-lichen Ubersetzer, die Krankenschwester ist freundlich. Es gibt mehr zu essen, als Wichians Körper vertragen kann. Sogar thailandischen Fleischsalat serviert man ihm.
Boonthom und Yo sehen sich in einem Auto wieder, das sie auf die andere Seite der Grenze und in ein groLes Krankenhaus bringt. Sie kommen gleichzeitig frei. Jemand im Wagen sagt thnen, dass sie sicher seien. Yos Finger- und Zehennagel sind in den zwei Mona-ten so lang und schmutzig geworden, dass eine israelische Arztin ihr eine Maniküre bezahlt. Das Paar bekommt Kleidung. Sein Hab und Gut, alles, was es in Israel besaf, ist im Feuer verbrannt, das die Terroristen auf der Kartoffelfarm gelegt hatten.
Ein paar Tage spater setzt die thailandische Botschaft die beiden ins Flugzeug Richtung Bangkok, Economy Class, zwischen Touristen auf dem Weg in den Urlaub. Manche Geiseln, erinnert sicb Yo, batten sich den ganzen Langstreckenflug nicht auf die Toilette getraut, weil die Spulung sie an die Bomben in Gaza erinnerte.
Yo sagt, sie wisse irnmer noch nicht, >>wer Hamas ist<< und warum sie entführt wurde. >>Wir sind aus Thailand, was haben wir damit zu tun?<<
Yo, Boonthom und Wichian sind frei, sie haben überlebt. Aber nachts zittern sie vor Panik beim Gedanken an einen Konflikt am anderen Ende der Welt.
Ein thailandischer Arzt, sagt Yo, habe ihr gerade eine GroLpackung eines angstlosenden Medikaments geschickt, Lorazepam. Yo hofft, dass es hilft. Boonthom und sie müssen Kredite für das Haus abbezahlen, das Yo für ibre Famiie hat bauen lassen, umgerechnet 14-00o Euro. Sie spielen jetzt Lotto. Falls sie gewinnen, würden sie das Geld unter allen thailandischen Geiseln aufteilen, sagen sie.
Wahrscheinlicher aber sei, dass sie bald wieder wegmüssten. Nach Korea, zum Arbeiten. Oder sogar zurück nach Israel.
Verena HöIzl, Maria Stöhr